Da hat es mich hinverschlagen. Ungeplant. Meine Freundin nahm mich einfach mit, wie ein zusätzliches Gepäckstück. Ich hatte keinen anderen Plan, ich war zu dem Zeitpunkt nicht in der Lage, irgendwelche analytischen Entscheidungen zu treffen. Ich wusste lediglich: So wie bisher geht es nicht weiter... Wie denn stattdessen? ... Kein Plan... Das klingt nach keinem guten Plan....Tu doch einfach etwas! Darin warst du schon immer gut.... O.K. Ich löse dann mal eben schnell meinen Haushalt und meine Praxis auf, verkaufe oder verschenke alles, verlade einen Bruchteil des Restes davon in einen Überseecontainer und nehme das Angbot meiner Freundin an, die gerade nach Paraguay auswandern will. Warum denn Paraguay?

Warum denn nicht?

Hier im Blog lest ihr meine Tagesreflexionen. Es soll mal ein Buch werden. Und falls nicht, dann steht es hier schon mal aufgeschrieben. Ich habe so viele Gedanken, die losgelassen werden möchten. Mich treibt so viel um. Ich war mein Leben lang getrieben von den Erwartungen anderer an mich. Mein größter Kritiker war ich selbst. Nun bin ich mir selbst überlassen. Kein Druck von aussen mehr. Dem  habe ich mich entzogen. Die Flucht nach Südamerika - Eine Affekthandlung. Nun stehe ich da mit mir selbst. Werde ich mit mir etwas anfangen können?

Wer bin ich? Worin werde ich meine Erfüllung finden?

Es ist tatsächlich ein Selbstfindungs-Trip. Ich nehme das Leben so, wie es sich mir zeigt, jeden Tag. Und ich empfange es mit offenen Armen und werde das mir Mögliche daraus machen. Es wird gute und schlechte Tage geben.

Wer bewertet meine Tage? Von welcher Perspektive aus sind sie "gut" oder "schlecht"?

So viele Traumata sind bisher vom Alltag überlagert gewesen.Nun, da ich mir selbst überlassen bin, treiben sie an die Oberfläche, verlangen Beachtung, ja, Wertschätzung. Das ist die erste Erkenntnis:

Drücke deine Schattenseiten nicht in den Schatten. Stelle dich ihnen. Schaue sie an. Lerne sie kennen. Schätze sie wert und sie werden mit dir fair umgehen. Ich werde mit ihnen ins Reine kommen. Das ist meine Lebensaufgabe. Das erfordert sehr viele Übungen. Oft entdecke ich erst, dass es eine spirituelle Übung war, wenn ich sie gemeistert habe oder grandios an ihr gescheitert bin. Dann gibt es eine weitere Chance, so lange, bis ich verstanden habe. Danke, Gott, für deine unendliche Geduld!

20.07.2025 ein Wintermorgen in PY.

Eine chronologische Reihenfolge meiner Einträge wird es nicht geben. Auf meinem Computer existiert ein Ordner mit der Bezeichnung: "Jetzt gehts aber los. Täglich." Naja. Das Versprechen konnte ich bisher nicht halten. Oft ist das Leben eben flotter und drängt sich in den Vordergrund. Und eh man es sich versieht, ist der Tag Geschichte und es ist nichts aufgeschrieben und ere nächste Tag hat mich schon voll im Griff. Darin unterscheidet sich das Leben hier nicht von dem in Deutschland. Der Unterschied: In Deutschlad ist es die Rettung, in Paraguay tut es mir leid.

Das, Leute, ist mein Pool. Cool, was? Boah, wenn ich könnte, hätte ich "POOL" abgewählt. Voll dekadent. Ich möcht nicht zu der Kathegorie Deutsche gezählt werden, die hierher gekommen sind, um Mallorca für Arme zu spielen und einen auf dicke Hoase zu machen, während die Einheimischen ihren Lebensstandard auf einem Viertel-Niveau des Unsrigen zu wuppen bereit sind. Und sie sind dabei glücklicher als wir. Du verstehst nicht, was ich sagen will? Ich im Moment auch nicht. Aber wir werden uns schon annähern, wenn du nur bei mir bleibst.

Ins Bild gelaufen ist die Kamera-scheue Kira. Eine waschechte Pitbull-Staffordshire-Hündin, auf dem Buckel 15 Jahre Lebendserfahrung.

Sie ist eine Dauerleihgabe meines lieben Nachbarn Alexander hier. Lese weiter und du wirst irgendwann die Zusammenhänge erfahren.

19.07.2025 klare Bilder

 

Heute wäre Bolles Geburtstag gewesen. Jahrgang 54 war Annikas Vater. Oh Mann, da wäre er 71 Jahre alt geworden. Was für eine Zahl.

 

Das Schlafzimmer ist für Kira tabu. Dieser Grundsatz wurde gestern aufgeweicht. Ich war total müde und kaputt, der Rücken tat mir weh und so krabbelte ich bereits gegen 20.30 Uhr in mein Bett, um noch ein wenig zu lesen. Kira hatte sich auf dem braunen Fellimitat vor meinem Bett bereits zusammengerollt. So fand ich sie vor, als ich aus dem Bad vom Zähneputzen kam.

 

„Und nun?“, frage ich sie. Es ist richtig schön, mit jemandem sprechen zu können, der meine Worte einfach nur zur Kenntnis nimmt (oder auch nicht und das wäre auch ok), ohne sie mit einem Kommentar zu versehen oder mit einer Gegenfrage oder als Steilvorlage für eine Grundsatzdiskussion zu benutzen. Kira schaut mich nicht einmal schuldbewusst an. Bei ihr fällt es mir leicht, ruhig und gelassen zu sein, auf sie einzugehen ohne sie zu bedrängen oder zu belehren. Laute Kommandos, Kommandos überhaupt, machen bei ihr keinen Sinn, denn sie hört (genauso wie ich) ziemlich schlecht bis gar nicht. Ich glaube, sie hört nur, was sie hören will. Und es gibt ziemlich wenig, was sie aus ihrer Umwelt zur Kenntnis nehmen will oder muss, um zufrieden zu sein. Sie ruht in sich. Sie ist ein gutes Vorbild für mich, zu welchem inneren Zustand ich gern wieder zurückfinden möchte.  Also schenkt sie mir einen lieben Blick und rührt sich ansonsten nicht. Ich gehe vor ihr in die Hocke und schaue sie an. Sie schaut gelassen zurück und hebt nicht einmal den Kopf. Es ist nicht mal eine Patt-Situation. Sie liegt eindeutig am längeren Hebel, befürchte ich. 

 

Ich kenne den Hund ja noch nicht so gut und weiß nicht genau, wie sie reagieren würde, wenn ich ihr meinen Willen aufzwingen wollte. Ich stehe auf, gehe um sie herum und schiebe halbherzig ihren Po in Richtung Kopf und Zimmerausgang. Das heißt, ich versuche es. Sie liegt wie ein Stein. Ich gehe zurück an ihr Kopfende, nehme die beiden Zipfel des Fellvorlegers in meine Fäuste und versuche, alles in Richtung Tür zu ziehen in der Hoffnung, dass Kira die Bewegung erschreckt und sie aufspringt. Dann könnte ich sie in Richtung Tür dirigieren und die Tür hinter ihr schließen. Aber Kira weiß, dass meine Hände nicht viel Kraft haben. Sie macht sich schwer, extra schwer und schaut mich dabei an, ohne sich zu rühren. Lächelt sie sogar ein wenig? Meine zaghaften Versuche bringen nichts. Als ich mich aufrichte, die Nachttischlampe anknipse und ins Bett krabbele um zu lesen, steht Kira auf, dreht sich zweimal um sich selbst, nein, zweieinhalb mal, denn sie läßt sich sanft fallen auf dem weichen Fellimitat mit dem Gesicht zu mir, stellt fest, dass da von meiner Seite kein Widerstand mehr ist, legt den Kopf ab und signalisiert Schlafmodus. „Okay.“, sage ich, stehe auf und schließe die Schlafzimmertür vor den Moskitos. „Aber das Bett bleibt Tabu!“ Dieses kleine autoritäre Aufbäumen geht durch Kira hindurch. Fürs erste liegt sie wo sie will und ich frage mich nicht einmal mehr, was daran denn so schlimm ist.

 

Schön, nicht mehr allein zu sein. Das ist war. Zum Glück ist mein Bett ein Boxspringbett, also so hoch wie eine Box, in die man hineinspringen muss. Ich kann bequem hinauf krabbeln auf die Matratze, Kira ist schon zu alt und zu steif. Oder? Bleiben wir neugierig.

 

Nachts gegen 3.50 Uhr werde ich wach, weil Kira einmal kurz bellt. Es ist die Zeit, wo in den letzten Tagen ihr Herrchen zur Arbeit gefahren ist. Knattert der Motor von seinem Quad? Ich lausche und höre nichts. Alexander muss ja heute auch gar nicht zur Arbeit. Ich stehe auf und lasse Kira raus aus dem Schlafzimmer und raus aus dem Haus. Brrrr! Ist das frostig draußen vor der Tür. Sie fegt hinaus und verschwindet. Ich nutze die Gelegenheit ebenfalls für einen Toilettengang. Ich trete hinaus auf die Terrasse, schaue hinauf in den Sternenhimmel. Das Wasser im Pool dampft im Gegenlicht der Nacht. Als hätte ich auch noch eine Poolheizung! Da hört es aber auf! Von Kira ist nichts zu sehen. Dann kommt sie um die Ecke getippelt, flink und geschäftig, und schlüpft ins Haus, steuert geradewegs auf die von ihr in den letzten Tagen bereits eroberte Couch zu.

 

„Na, geht doch!“, sage ich. „Das ist in Ordnung. Bis morgen früh dann.“ Warum fühlt es sich nicht so an, als hätte ich mein Prinzip mit dem Schlafzimmertabu doch noch durchgesetzt? Ohne mich eines Blickes zu würdigen, erklimmt sie konzentriert und routiniert ihren Thron auf dem Schaffell, lässt sich darauf plumpsen und legt den Kopf ab. Ihre Augen fallen sofort zu. Offenbar ist es auch für sie in Ordnung. Zwischen uns gibt’s keine Sieger oder Verlierer. Das ist eine gute Ausgangsbasis für ein Zusammenleben.

 

Leise schließe ich die Tür zu meinem Schlafzimmer, erklimme routiniert meinen Thron und stecke meine kalten Füße unter die Bettdecke. Ich lösche das Licht und komme mir ein wenig allein gelassen vor. Wir schnell man sich doch an einen Hund gewöhnen kann.

 

Heute Morgen weckt mich mein versteifter linker Daumen. Ein Schnappgelenk, was nicht mal mehr schnappt. Aus eigener Kraft geht ziemlich wenig und nun tut es auch noch weh. Wenn diese Tendenz sich fortsetzt in der Dynamik, dann werde ich ziemlich gehandycapt oder gedaumicapt sein für den Rest meines Lebens. Ich sehe diese Prognose als Motivation dafür, in die Selbstfürsorge zu gehen, mein Zink und Vermiculite zu nehmen und Ergotherapie zu machen. Die Aufwachphase morgens wird jetzt genutzt werden zum Gelenkmobilisieren, erst passiv, dann aktiv, ebenso wie Hüfte und ISG, es soll doch nichts einrosten vor der Zeit.

 

Die Dämmerungszeit ist schon vorüber. Also muss es nach 7.30 Uhr sein. Heute ist Ausschlafen dran gewesen, kein Hundespaziergang mit Zai und Nina. Denn um 11.00 Uhr kommt ein Handwerker in Begleit- und Dolmetscherschutz meiner Freundin, wegen meiner Küche und der Abwasssergeschichte. Ich gönne mir also 5 Minuten, dann gehe ich ins kalte Bad, haue mir eine kalte Pütz voll Wasser ins Gesicht,  steige  in meine kalten Klamotten und öffne die Schlafzimmertür. Kira ist Langschläferin und fast taub, sie hat meine Lebensgeister also noch nicht gespürt. Im selben Moment hebt sie den Kopf, streckt sich von der Couch und kommt gut gelaunt und schwanzwedelnd auf mich zu. „Na, mein altes Mädchen? Wollen wir gemeinsam den Tag beginnen?“ Ihre gute Laune und Unbeschwertheit überträgt sich sofort auf mich. Ich bin eh kein Morgenmuffel, also auch diesbezüglich werden wir gut zusammen passen. Ich beuge mich zu ihr mit gestreckten Beinen und wackele mit dem Po, um ihre Streckbewegung zu imitieren. Sie guckt zu mir und wiederholt ihre Streckbewegung und wedelt mit der Rute, um mich zu imitieren! Ich lache und werde richtig übermütig. Der erste wirkliche Glücksmoment des Tages. Wo hätte ich den hergezaubert ohne Hund?

 

Da wir beide angezogen sind, aber noch Bettchen-warm, öffne ich die Terrassentür und lasse einen Schwall eiskalte Luft hinein. Aber die Sonne dazu! So ein absurder Gegensatz und in der gefühlten Kombination unvergleichlich. Mit geschlossenen Augen ist Winter, mit offenen Augen Sommerwetter. Der blaue Himmel spiegelt sich in der wellenfreien Oberfläche des Poolwassers. Sind die Schwalben heute Morgen schneller unterwegs, um sich warmzufliegen? Fast kommt es mir so vor. Herrlich! Mir wird bewusst, welchen Luxus ich genießen darf, an einem Samstagmorgen einfach jede Handlung auf mich zukommen zu lassen, ohne Plan, ohne logische Reihenfolge. So wie es mir instinktiv in den Sinn kommt, ist es genau richtig. Ich schaue nicht auf die Uhr. Kira war inzwischen schnell pullern und kommt auf mich zugelaufen. Ich schlage mir auf die Oberschenkel gegen die Kälte und da kommt sie in Spielverbeugung auf mich zu galoppiert wie ein junger Hund.

 

Ich rufe: „Wollen wir Laufilaufi machen?“ Boah, so ein Kindersprech!!! „Heehjaaa, Heehjaaa!!!“

 

Wie tut das gut, das mal raus zu lassen! Hier in der Walachai hört es ja niemand. Kira weiß, was ich meine und holt mich ab. Im imitierten Sprint-Zeitlupen-Modus umrunden wir einmal den Pool und einmal das Haus. Dabei benutze ich den Traufstreifen und Kira das weiche Gras daneben als Laufpiste.

 

„Juhuuuu! Liebe Frau Nachbarin! Hallooo, Kira-Schätzchen!“, hören wir es auf einmal von nebenan brüllen. Es ist mein Nachbar Alexander, der vor seinem Pool Hampelmänner macht und Kniehebelauf, vermutlich um seinen Kater abzuschütteln. Er kam heute Morgen gegen 3.50 Uhr nach Hause. Kira hatte also tatsächlich sein Quad gehört.

 

Wir lassen den Morgen ins Haus, tauschen die Kälte ungeheizter Räume gegen die frische Luft eines sonnenhungrigen Wintermorgens in Paraguay. Das funktioniert, weil kein künstliches Licht um diese Stunde mehr notwendig ist, welches die Mücken anlocken würde, und weil diese Plagegeister letzte Nacht alle den heldenhaften Tod durch Erfrieren gestorben wurden. Ich formuliere das absichtlich so, weil in Erinnerung dieses wunderbaren Moments mein Deutsch mit mir durchbrennt. Alles passt. Alles stimmt. Gott segne diesen Augenblick.