Eine chronologische Reihenfolge meiner Einträge wird es nicht geben. Auf meinem Computer existiert ein Ordner mit der Bezeichnung: "Jetzt gehts aber los. Täglich." Naja. Das Versprechen konnte ich bisher nicht halten. Oft ist das Leben eben flotter und drängt sich in den Vordergrund. Und eh man es sich versieht, ist der eine Tag Geschichte und es ist nichts aufgeschrieben und der nächste Tag hat mich schon voll im Griff. Darin unterscheidet sich das Leben hier nicht von dem in Deutschland. Der Unterschied: In Deutschlad war ich oft froh, dass der Tag endlich vorbei war; hier in Paraguay tut es mir oft leid.


Da hat es mich hinverschlagen. Ungeplant. Meine Freundin nahm mich einfach mit, wie ein zusätzliches Gepäckstück. Ich hatte keinen anderen Plan, ich war zu dem Zeitpunkt nicht in der Lage, irgendwelche analytischen Entscheidungen zu treffen. Ich wusste lediglich: So wie bisher geht es nicht weiter... Wie denn stattdessen? ... Kein Plan... Das klingt nach keinem guten Plan....Tu doch einfach etwas! Darin warst du schon immer gut.... O.K. Ich löse dann mal eben schnell meinen Haushalt und meine Praxis auf, verkaufe oder verschenke alles, verlade einen Bruchteil des Restes davon in einen Überseecontainer und nehme das Angbot meiner Freundin an, die gerade nach Paraguay auswandern will. Warum denn Paraguay?

Warum denn nicht?

Hier im Blog lest ihr meine Tagesreflexionen. Es soll mal ein Buch werden. Und falls nicht, dann steht es hier schon mal aufgeschrieben. Ich habe so viele Gedanken, die losgelassen werden möchten. Mich treibt so viel um. Ich war mein Leben lang getrieben von den Erwartungen anderer an mich. Mein größter Kritiker war ich selbst. Nun bin ich mir selbst überlassen. Kein Druck von aussen mehr. Dem  habe ich mich entzogen. Die Flucht nach Südamerika - Eine Affekthandlung. Nun stehe ich da mit mir selbst. Werde ich mit mir etwas anfangen können?

Wer bin ich? Worin werde ich meine Erfüllung finden?

Es ist tatsächlich ein Selbstfindungs-Trip. Ich nehme das Leben so, wie es sich mir zeigt, jeden Tag. Und ich empfange es mit offenen Armen und werde das mir Mögliche daraus machen. Es wird gute und schlechte Tage geben.

Wer bewertet meine Tage? Von welcher Perspektive aus sind sie "gut" oder "schlecht"?

Das eine oder andere Trauma ist bisher vom Alltag überlagert gewesen. Nun, da ich mir selbst überlassen bin, treiben sie an die Oberfläche, verlangen Beachtung, ja, Wertschätzung. Das ist die erste Erkenntnis:

Drücke deine Schattenseiten nicht in den Schatten. Stelle dich ihnen. Schaue sie an. Lerne sie kennen. Schätze sie wert und sie werden mit dir fair umgehen. Ich werde mit ihnen ins Reine kommen. Das ist meine Lebensaufgabe. Das erfordert sehr viele Übungen. Oft entdecke ich erst, dass es eine spirituelle Übung war, wenn ich sie gemeistert habe oder grandios an ihr gescheitert bin. Dann gibt es eine weitere Chance, so lange, bis ich verstanden habe. Danke, Gott, für deine unendliche Geduld!


07.08.2025   „Ich bin keine Blutbank!!!“

 

„Ach sooooo! Na denn! Bitte entschuldige, dass ich dich belästigt habe. Soll nicht wieder vorkommen. Versprochen!“, kichert der Mini-Mosquito und bleibt vor mir in der Luft stehen wie ein Kolibri. Grinst er mich sogar an? Macht er sich über mich lustig?

 

Der Mosquito beginnt zu vibrieren. Ist er beeindruckt? Kommt er aus dem Takt? Hat meine klare Ansage sein Selbstbewusstsein erschüttert?

 

Nein. ER schüttelt sich vor Lachen! Er lacht mich aus. Aber – Freundchen, nicht mit mir. Mit mir nicht mehr.

 

Ich schlage eine Schlacht, die nicht zu gewinnen ist. Hunderte von Mücken verschiedener Sorte sitzen an den Wänden oder in den Vorhängen, unterm Tisch und mit Vorliebe überall dort, wo es warm und feucht ist: Wasserkocher, Wasserhahn, feuchte Putzlappen.

 

“Geht doch nach drauSSen! Da ist es viel nasser, weil es nämlich schon wieder regnet!“

 

meine Verzweiflung ist jedoch nur aufgesetzt, pure Zeit- und Energieverschwendung. Es sind einfach zu viele und ich habe den Verdacht, dass der Zustrom weder durch offene Fenster oder Türen erfolgt, sondern durch die Ritzen zwischen den Eisenträgern an der Decke zum Giebel des Hauses. Wenn da Wasser durchpasst, dann auch Mosquitos. Denn vorgestern regnete es da durch.

 

Ich möchte so gern in Ruhe hier sitzen und schreiben, aber ständig fliegt mir so ein Mosquito ins Bild. Er wird vom Blaulicht des Monitors angezogen aber keinesfalls hypnotisiert. Alle fünf Minuten unterbreche ich meine Schreiberei, nehme die Fliegenklatsche und einen kalten feuchten Lappen. Ich scanne die Wände ab und erlege alles, was an den Wänden sitzt bis in 1,70 m Höhe, denn ich habe eine kleine Plastikstreppe dabei. Ich bin schon richtig flott im Auf-und Absteigen. Die Mosquitos haben ein kollektives Gedächtnis und eine Schwarmintelligenz. Sie passen ihre Flugmuster meiner Jagdmethode an. Ich wiederum habe meine Strategie verlegt vom sinnlosen Umherwedeln meiner Hände auf die Psychoanalyse der Mosquitos. Trotzdem werde ich das Gefühl nicht los, dass die Dinger schneller ihre Ausweichmethoden anpassen als ich mir eine neue Taktik einfallen lassen kann.

 

Aber ich kriege sie. Eine nach der anderen. Manchmal kann ich mich aber gar nicht so recht über den Jagderfolg freuen, weil an der Wand ein Blutfleck bleibt. Das heißt, eigentlich kommt ihr Tod zu spät. Oder? Wie oft sticht so eine Mücke oder ein Mosquito? Sind sie irgendwann satt oder müssen sie nur ein einziges Mal, als Voraussetzung für den nächsten Entwicklungsschritt (Verpuppung, Paarung, Eier legen oder sonstwas)? Ich muss das mal recherchieren! Dafür habe ich jetzt aber keine Zeit.

Es geht ums Überleben. Entweder sie oder ich. Bei der Jagd komme ich ins Schwitzen. Kein Wunder, denn um meine Körperoberfläche zu schützen, laufe ich im Haus den ganzen Tag mit dicken Wollsocken, langer Hose und Teddyjacke herum in der Hoffnung, dass dann der Stachel für 1/3 der Angreifer vielleicht zu kurz ist. Ich ziehe die Jacke aus, wenn ich auf der Jagd bin, denn ein bewegliches Ziel ist schwerer zu treffen. Keine Ahnung, ob das diese Viecher auch wissen.

 

Ich habe beobachtet, dass die Mücke, wie um mich zum Schlag zu provozieren und mir Zeit zu geben für die Feinjustierung meines Schlages, in der Luft stehen bleibt, als würde sie hämisch rufen:

 

„ Hähä! Komm doch! Komm doch! Kriegst mich ja doch nicht!“

 

Bisher dachte ich auch echt, ich ziele nicht richtig und haue daneben oder durch die Heftigkeit meines Schlages wird die Mücke vorher durch den von mir erzeugten Luftsog fortgeweht.

 

Aber nein! Mosquitos können einfach schneller rechnen als ich! Sie warten ab, wohin mein Schlag zielt und ändern nur eine hundertstel Sekunde bevor ich schlage, ihre Position. Sie fliegen nicht einfach fluchtartig davon, sondern nur ein kleines Stück zur Seite, um mich weiter zu beobachten und zum finalen Saugakt anzudocken!

 

,m

 

 Auf dem „m“ der Laptop-Tastatur liegt jetzt eine erschlagene Mücke! „Ha!“,  triumphiere ich. „Da ist dir das Grinsen aber im Gesicht eingefroren, was? Du nicht und keiner von deiner Straße!“

 

Dabei ist es mir scheißegal, ob gerade dieser Mosquito ein friedlicher Mosquito mit einem Bildungsauftrag war. Warum sonst sitzt er nicht, wie es sich gehört, an der Wand sondern auf meiner Tastatur, auf dem „m“?

 

Mir wird in dieser Sekunde schmerzlich bewusst, dass ich vergaß, meine Teddyjacke wieder überzuziehen. An meinen nackten Oberarmen bilden sich Schwellungen unterschiedlicher Größe.  Das deutet auf unterschiedliches Juckreiz- und Entzündungspotential hin. Bei KEINEM Stich darf man der Versuchung nachgeben zu kratzen. Auch das sanfte Abtasten der Schwellung kann schon den Juckreiz weiter stimulieren. Manche Stiche tun so, als wären sie überstanden. Nach  Tagen jedoch melden sie sich und man kratzt nur mal so ganz kurz und reflektorisch. Dann geht’s los und man kriegt sich nicht mehr ein. Man kratzt sich blutig, es entsteht eine dicke Beule bis hin zu petechialen Blutungen im Unterhautgewebe. Wie ein blauer Fleck, nur dass er lila ist und mehrere Tage präsent bleibt. Fällt nach Wochen der Schorf ab, bleiben Krater in der Haut und Narben.

 

Allerdings scheint es auch dumme Mücken zu geben. Eben hatte ich eine, die kam zweimal davon. Ich wollte sie mit der flachen Hand an die Wand nageln, sie entwich zweimal zwischen meinen Fingern. Nun sitzt sie tatsächlich nur 20 cm entfernt und freut sich über ihr Glück. Sie rechnet nicht damit, dass ich einen dritten Versuch wage und bezahlt es mit ihrem Leben. Leider trage ich durch meine Mückentötungs-Kampagne hier ja aktiv zur Selektion und genetischen Drift der Mückenpopulation bei. Denn nur die Cleversten überleben, die Dummen schlage ich tot und die können ihre Dummheit ja nun nicht mehr an ihre Nachkommen weitergeben. Wie dumm, in der Tat.

 

Ich habe auch bemerkt, dass vollgesogene Mosquitos sich leichter fangen lassen als andere, die noch was vor haben mit mir und meinem Körper. Aber erst einmal beschäftigen sie meinen Geist. Wie groß ist das Fassungsvermögen einer Mücke? Das wievielte ihres Leergewichtes ist sie in der Lage, nach dem Saugakt mit sich herumzutragen? Natürlich ist für sie dann das Navigieren schwierig. Wie bei so einem Helikopter, der mit 20 Mann an Bord auch schwerfälliger startet als er leer gelandet ist. Hab ich in diversen Kinofilmen gesehen. Oder wird die Mücke durch das Blut in eine Art Rausch versetzt, dass sie besoffen und deshalb ein wenig unzurechnungsfähig ist?

 

Um mich herum ist gerade Stille. Ich nehme kein Sirren und keine Bewegungen von Mücken mehr in meiner unmittelbaren Umgebung wahr. Sollte ich sie etwa (fast) alle erlegt haben? Kann ich nun endlich zu etwas Sinnvollem übergehen, über etwas Vernünftiges schreiben?

 

Obwohl: im Grunde genommen befasst sich ja mein Verstand, meine Vernunft, mit diesen Plagegeistern. Emotional bin ich schon ziemlich auf Distanz. (Tatsächlich? Wenn ich mir die letzten Absätze so nochmal durchlese, wirkt das nicht gerade emotional unbeteiligt!) Will sagen, dass sich mein Empathie-Potential ziemlich schnell erschöpft hat, was stechende Flugobjekte betrifft.

 

Und Beobachter der Szenerie bin ich ja schon die ganze Zeit. Und ich bin froh darüber, dass es niemand sonst ist. Ich wohne hier ja weit draußen inmitten jetzt sumpfiger Kuhweiden und Grasland, das gestern noch überschwemmt war. Nicht mal die Kühe wurden in den letzten Tagen hierher getrieben. Zu feucht. Ein Mekka für Insekten und Schwalben und andere Vögel, die sich von Insekten ernähren. Ich darf Teil der Nahrungskette sein. Nur stehe ich ziemlich am Anfang dieser Kette, denn die Insekten ernähren sich von mir. Das ist nicht so gut für mein Selbstwertgefühl.

 

Meine Fliegenklatsche hat am andern Ende des Griffes eine kleine stilisierte Plastikhand mit 5 gleichgroßen „Fingern“, die zu kleinen, stumpfen Krallen gebogen sind. Welch eine Ironie: Eine Kratzhand, die nicht kratzen sollte…und es auch nicht vernünftig kann.

 

Eben bin ich noch mal eine Runde gegangen durch mein Wohnzimmer, zum Mosquito-Scannen. Dabei war ich zum Beispiel erfolgreich mit folgender Taktik:

 

Ich schob einen fliegenden Mosquito mit der Fliegenklatsche ruhig von mir fort in Richtung Wand und drückte langsam flächig zu. Damit hatte das Insekt nicht gerechnet. Gerade versucht ein Spionage-Mosquito hier zu lesen, welche Taktiken ich noch entwickelt habe.

 

Sie wissen zum Beispiel noch nicht, dass ich auch beidhändig jage. Ich tue so, als würde ich mit rechts schlagen wollen und fange das flüchtende Tier dann mit links. Zack!

 

Im Schlafzimmer habe ich schon mein Mosquitonetz ausgebreitet. Morgen werde ich es richtig ausrichten. Momentan hängt es nämlich über dem Kopfende. Es gehört jedoch in die Mitte, damit ich es gleichmäßig über mir ausbreiten kann. Für dieses Projekt muss ich mein großes Bett zur Seite schieben, eine extrahohe Leiter holen, und mich mitten im Raum auf das oberste Treppchen stellen ohne wirkliche Möglichkeit, mich irgendwo abzustützen. Vorher muss ich noch ein Seil um den anderen Stahlträger legen und die alte Befestigung lösen, damit ich die Aufhängung zentrieren kann. Mal sehen, ob ich es überlebe. Ich bin nicht schwindelfrei und habe Höhenangst.

 

So. Den Rest der Mücken und Mosquitos überlasse ich den Spinnen. Die sollen ja auch noch ein wenig zu tun haben. Ich muss mich unbedingt um Mosquiteros (Fliegengitter) für die Fenster und Türen bemühen. Oder bin ich etwa ein Mosquitero? Im Spanischen ist ja einer, der den Torro, den Stier, erlegt oder zum Kampf herausfordert, ein Torrero…

Darüber lohnt es sich auch mal, nachzudenken. Aber das mache ich später. Ich gehe jetzt unters Netz-Dach,in meine mosquitofreie Zone

 


20.07.2025 ein Wintermorgen in PY.

 

Das, Leute, ist mein Pool. Cool, was? Boah, wenn ich könnte, hätte ich "POOL" abgewählt. Voll dekadent. Ich möcht nicht zu der Kathegorie Deutsche gezählt werden, die hierher gekommen sind, um Mallorca für Arme zu spielen und einen auf dicke Hoase zu machen, während die Einheimischen ihren Lebensstandard auf einem Viertel-Niveau des Unsrigen zu wuppen bereit sind. Und sie sind dabei glücklicher als wir. Du verstehst nicht, was ich sagen will? Ich im Moment auch nicht. Aber wir werden uns schon annähern, wenn du nur bei mir bleibst.

Ins Bild gelaufen ist die Kamera-scheue Kira. Eine waschechte Pitbull-Staffordshire-Hündin, auf dem Buckel 15 Jahre Lebendserfahrung.

Sie ist eine Dauerleihgabe meines lieben Nachbarn Alexander hier. Lese weiter und du wirst irgendwann die Zusammenhänge erfahren.

19.07.2025 klare Bilder

 

Heute wäre Bolles Geburtstag gewesen. Jahrgang 54 war Annikas Vater. Oh Mann, da wäre er 71 Jahre alt geworden. Was für eine Zahl.

 

Das Schlafzimmer ist für Kira tabu. Dieser Grundsatz wurde gestern aufgeweicht. Ich war total müde und kaputt, der Rücken tat mir weh und so krabbelte ich bereits gegen 20.30 Uhr in mein Bett, um noch ein wenig zu lesen. Kira hatte sich auf dem braunen Fellimitat vor meinem Bett bereits zusammengerollt. So fand ich sie vor, als ich aus dem Bad vom Zähneputzen kam.

 

„Und nun?“, frage ich sie. Es ist richtig schön, mit jemandem sprechen zu können, der meine Worte einfach nur zur Kenntnis nimmt (oder auch nicht und das wäre auch ok), ohne sie mit einem Kommentar zu versehen oder mit einer Gegenfrage oder als Steilvorlage für eine Grundsatzdiskussion zu benutzen. Kira schaut mich nicht einmal schuldbewusst an. Bei ihr fällt es mir leicht, ruhig und gelassen zu sein, auf sie einzugehen ohne sie zu bedrängen oder zu belehren. Laute Kommandos, Kommandos überhaupt, machen bei ihr keinen Sinn, denn sie hört (genauso wie ich) ziemlich schlecht bis gar nicht. Ich glaube, sie hört nur, was sie hören will. Und es gibt ziemlich wenig, was sie aus ihrer Umwelt zur Kenntnis nehmen will oder muss, um zufrieden zu sein. Sie ruht in sich. Sie ist ein gutes Vorbild für mich, zu welchem inneren Zustand ich gern wieder zurückfinden möchte.  Also schenkt sie mir einen lieben Blick und rührt sich ansonsten nicht. Ich gehe vor ihr in die Hocke und schaue sie an. Sie schaut gelassen zurück und hebt nicht einmal den Kopf. Es ist nicht mal eine Patt-Situation. Sie liegt eindeutig am längeren Hebel, befürchte ich. 

 

Ich kenne den Hund ja noch nicht so gut und weiß nicht genau, wie sie reagieren würde, wenn ich ihr meinen Willen aufzwingen wollte. Ich stehe auf, gehe um sie herum und schiebe halbherzig ihren Po in Richtung Kopf und Zimmerausgang. Das heißt, ich versuche es. Sie liegt wie ein Stein. Ich gehe zurück an ihr Kopfende, nehme die beiden Zipfel des Fellvorlegers in meine Fäuste und versuche, alles in Richtung Tür zu ziehen in der Hoffnung, dass Kira die Bewegung erschreckt und sie aufspringt. Dann könnte ich sie in Richtung Tür dirigieren und die Tür hinter ihr schließen. Aber Kira weiß, dass meine Hände nicht viel Kraft haben. Sie macht sich schwer, extra schwer und schaut mich dabei an, ohne sich zu rühren. Lächelt sie sogar ein wenig? Meine zaghaften Versuche bringen nichts. Als ich mich aufrichte, die Nachttischlampe anknipse und ins Bett krabbele um zu lesen, steht Kira auf, dreht sich zweimal um sich selbst, nein, zweieinhalb mal, denn sie läßt sich sanft fallen auf dem weichen Fellimitat mit dem Gesicht zu mir, stellt fest, dass da von meiner Seite kein Widerstand mehr ist, legt den Kopf ab und signalisiert Schlafmodus. „Okay.“, sage ich, stehe auf und schließe die Schlafzimmertür vor den Moskitos. „Aber das Bett bleibt Tabu!“ Dieses kleine autoritäre Aufbäumen geht durch Kira hindurch. Fürs erste liegt sie wo sie will und ich frage mich nicht einmal mehr, was daran denn so schlimm ist.

 

Schön, nicht mehr allein zu sein. Das ist war. Zum Glück ist mein Bett ein Boxspringbett, also so hoch wie eine Box, in die man hineinspringen muss. Ich kann bequem hinauf krabbeln auf die Matratze, Kira ist schon zu alt und zu steif. Oder? Bleiben wir neugierig.

 

Nachts gegen 3.50 Uhr werde ich wach, weil Kira einmal kurz bellt. Es ist die Zeit, wo in den letzten Tagen ihr Herrchen zur Arbeit gefahren ist. Knattert der Motor von seinem Quad? Ich lausche und höre nichts. Alexander muss ja heute auch gar nicht zur Arbeit. Ich stehe auf und lasse Kira raus aus dem Schlafzimmer und raus aus dem Haus. Brrrr! Ist das frostig draußen vor der Tür. Sie fegt hinaus und verschwindet. Ich nutze die Gelegenheit ebenfalls für einen Toilettengang. Ich trete hinaus auf die Terrasse, schaue hinauf in den Sternenhimmel. Das Wasser im Pool dampft im Gegenlicht der Nacht. Als hätte ich auch noch eine Poolheizung! Da hört es aber auf! Von Kira ist nichts zu sehen. Dann kommt sie um die Ecke getippelt, flink und geschäftig, und schlüpft ins Haus, steuert geradewegs auf die von ihr in den letzten Tagen bereits eroberte Couch zu.

 

„Na, geht doch!“, sage ich. „Das ist in Ordnung. Bis morgen früh dann.“ Warum fühlt es sich nicht so an, als hätte ich mein Prinzip mit dem Schlafzimmertabu doch noch durchgesetzt? Ohne mich eines Blickes zu würdigen, erklimmt sie konzentriert und routiniert ihren Thron auf dem Schaffell, lässt sich darauf plumpsen und legt den Kopf ab. Ihre Augen fallen sofort zu. Offenbar ist es auch für sie in Ordnung. Zwischen uns gibt’s keine Sieger oder Verlierer. Das ist eine gute Ausgangsbasis für ein Zusammenleben.

 

Leise schließe ich die Tür zu meinem Schlafzimmer, erklimme routiniert meinen Thron und stecke meine kalten Füße unter die Bettdecke. Ich lösche das Licht und komme mir ein wenig allein gelassen vor. Wir schnell man sich doch an einen Hund gewöhnen kann.

 

Heute Morgen weckt mich mein versteifter linker Daumen. Ein Schnappgelenk, was nicht mal mehr schnappt. Aus eigener Kraft geht ziemlich wenig und nun tut es auch noch weh. Wenn diese Tendenz sich fortsetzt in der Dynamik, dann werde ich ziemlich gehandycapt oder gedaumicapt sein für den Rest meines Lebens. Ich sehe diese Prognose als Motivation dafür, in die Selbstfürsorge zu gehen, mein Zink und Vermiculite zu nehmen und Ergotherapie zu machen. Die Aufwachphase morgens wird jetzt genutzt werden zum Gelenkmobilisieren, erst passiv, dann aktiv, ebenso wie Hüfte und ISG, es soll doch nichts einrosten vor der Zeit.

 

Die Dämmerungszeit ist schon vorüber. Also muss es nach 7.30 Uhr sein. Heute ist Ausschlafen dran gewesen, kein Hundespaziergang mit Zai und Nina. Denn um 11.00 Uhr kommt ein Handwerker in Begleit- und Dolmetscherschutz meiner Freundin, wegen meiner Küche und der Abwasssergeschichte. Ich gönne mir also 5 Minuten, dann gehe ich ins kalte Bad, haue mir eine kalte Pütz voll Wasser ins Gesicht,  steige  in meine kalten Klamotten und öffne die Schlafzimmertür. Kira ist Langschläferin und fast taub, sie hat meine Lebensgeister also noch nicht gespürt. Im selben Moment hebt sie den Kopf, streckt sich von der Couch und kommt gut gelaunt und schwanzwedelnd auf mich zu. „Na, mein altes Mädchen? Wollen wir gemeinsam den Tag beginnen?“ Ihre gute Laune und Unbeschwertheit überträgt sich sofort auf mich. Ich bin eh kein Morgenmuffel, also auch diesbezüglich werden wir gut zusammen passen. Ich beuge mich zu ihr mit gestreckten Beinen und wackele mit dem Po, um ihre Streckbewegung zu imitieren. Sie guckt zu mir und wiederholt ihre Streckbewegung und wedelt mit der Rute, um mich zu imitieren! Ich lache und werde richtig übermütig. Der erste wirkliche Glücksmoment des Tages. Wo hätte ich den hergezaubert ohne Hund?

 

Da wir beide angezogen sind, aber noch Bettchen-warm, öffne ich die Terrassentür und lasse einen Schwall eiskalte Luft hinein. Aber die Sonne dazu! So ein absurder Gegensatz und in der gefühlten Kombination unvergleichlich. Mit geschlossenen Augen ist Winter, mit offenen Augen Sommerwetter. Der blaue Himmel spiegelt sich in der wellenfreien Oberfläche des Poolwassers. Sind die Schwalben heute Morgen schneller unterwegs, um sich warmzufliegen? Fast kommt es mir so vor. Herrlich! Mir wird bewusst, welchen Luxus ich genießen darf, an einem Samstagmorgen einfach jede Handlung auf mich zukommen zu lassen, ohne Plan, ohne logische Reihenfolge. So wie es mir instinktiv in den Sinn kommt, ist es genau richtig. Ich schaue nicht auf die Uhr. Kira war inzwischen schnell pullern und kommt auf mich zugelaufen. Ich schlage mir auf die Oberschenkel gegen die Kälte und da kommt sie in Spielverbeugung auf mich zu galoppiert wie ein junger Hund.

 

Ich rufe: „Wollen wir Laufilaufi machen?“ Boah, so ein Kindersprech!!! „Heehjaaa, Heehjaaa!!!“

 

Wie tut das gut, das mal raus zu lassen! Hier in der Walachai hört es ja niemand. Kira weiß, was ich meine und holt mich ab. Im imitierten Sprint-Zeitlupen-Modus umrunden wir einmal den Pool und einmal das Haus. Dabei benutze ich den Traufstreifen und Kira das weiche Gras daneben als Laufpiste.

 

„Juhuuuu! Liebe Frau Nachbarin! Hallooo, Kira-Schätzchen!“, hören wir es auf einmal von nebenan brüllen. Es ist mein Nachbar Alexander, der vor seinem Pool Hampelmänner macht und Kniehebelauf, vermutlich um seinen Kater abzuschütteln. Er kam heute Morgen gegen 3.50 Uhr nach Hause. Kira hatte also tatsächlich sein Quad gehört.

 

Wir lassen den Morgen ins Haus, tauschen die Kälte ungeheizter Räume gegen die frische Luft eines sonnenhungrigen Wintermorgens in Paraguay. Das funktioniert, weil kein künstliches Licht um diese Stunde mehr notwendig ist, welches die Mücken anlocken würde, und weil diese Plagegeister letzte Nacht alle den heldenhaften Tod durch Erfrieren gestorben wurden. Ich formuliere das absichtlich so, weil in Erinnerung dieses wunderbaren Moments mein Deutsch mit mir durchbrennt. Alles passt. Alles stimmt. Gott segne diesen Augenblick.